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Pressemitteilung

Neue Luftqualitätsmessungen der Deutschen Umwelthilfe: 115 Städte und Gemeinden überschreiten NO2-Grenzwert

Dienstag, 28.08.2018 Dateien: 6

Deutsche Umwelthilfe veröffentlicht Ergebnisse ihrer zweiten bundesweiten Citizen Science Messaktion „Decke auf, wo Atmen krank macht“— Konzentration des Dieselabgasgifts Stickstoffdioxid (NO2) in Atemhöhe von Kindern besonders hoch — Messaktionen von Umweltverbänden und Rundfunkanstalten zeigen NO2-Grenzwertüberschreitungen in 40 bisher nicht amtlich untersuchten Städten und Gemeinden – Aktuelle DUH-Messaktion deckt NO2-Grenzwertüberschreitungen in Starnberg, Fürth, Trostberg, Laufen, Obersulm, Erlangen und Frechen auf

© Maximilian Urschl / DUH

Berlin, 28.8.2018: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat an 461 Messstellen in 232 Städten und Kommunen zum zweiten Mal die Belastung der Atemluft mit dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) gemessen. Mittels Passivsammlern wurde vom 1. Juni 2018 bis zum 1. Juli 2018 mit Unterstützung zahlreicher Bürger die durchschnittliche Konzentration von NO2 in der Umgebungsluft ermittelt. Der Grenzwert für NO2 liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) im Jahresmittel. An 53 verkehrsnahen Messstellen wurden Werte von 40 µg/m3 oder mehr gemessen. Sieben dieser Städte und Gemeinden gelten offiziell als unbelastet – da dort keine amtlichen verkehrsnahen offiziellen Messstationen existieren. Diese Städte und Gemeinden sind somit vom „Sofortprogramm Saubere Luft“ der Bundesregierung ausgeschlossen.

Bei den Sommermessungen der DUH wurden die höchsten NO2-Werte an Straßen in Bonn (77,2 µg/m3), Stuttgart (67,1 µg/m3), Kiel (59,7 µg/m3), Düsseldorf (59,2 µg /m3) und Hamburg (62,3 µg/m3) gemessen. In diesen Städten klagt die DUH bereits auf Diesel-Fahrverbote und die Durchsetzung der sauberen Luft, in Hamburg klagt der BUND.

Alarmierend hohe NO2-Werte oberhalb des gesetzlichen Grenzwertes wurden auch in Städten ermittelt, in denen bislang keine amtlichen und somit für die Bundesregierung relevanten Messungen durchgeführt werden. Dazu zählen: Starnberg (54,6 µg/m3), Fürth (50,7 µg/m3) Trostberg (50,3 µg/m3), Laufen (42,4 µg/m3), Obersulm (42,0 µg/m3), Erlangen (40,6 µg/m3) und Frechen (40,4 µg/m3). Werte knapp unterhalb des Grenzwertes, aber eindeutig gesundheitlich problematisch, wurden gemessen in Wolfratshausen (39,7 µg/m3), Füssen (39,4 µg/m3), und Kirchseeon (37,5 µg/m3). All diese Städte ohne offizielle Messstationen sind von den Fördermitteln der Bundesregierung im Rahmen des „Sofortprogramms Saubere Luft“ ausgeschlossen.

Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Wir haben in Deutschland ein flächendeckendes Problem mit dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid in unserer Atemluft. Unsere Citizen Science Messungen haben die Anzahl der Städte mit Grenzwertüberschreitungen auf 115 anwachsen lassen. Doch die Bundesregierung will nur den 65 Städten helfen, die eine amtliche Grenzwertüberschreitung ausweisen. Es müssen schnellstmöglich Maßnahmen für die ‚Saubere Luft‘ an den belastetsten Orten ergriffen werden. Die Bundesregierung muss ihre Hilfe auf alle Städte und Gemeinden ausdehnen, die unter gesundheitlich bedenklichen NO2-Werten leiden, und nicht nur die wenigen Dutzend Städte mit amtlichen Messpunkten finanziell unterstützen.

Nicht nur alte und gesundheitlich vorbelastete Menschen, sondern auch Kinder sind durch die giftigen Abgase besonders gefährdet. Daher hat die DUH bei der zweiten Messreihe an ausgewählten Orten untersucht, wie die Konzentration des Schadstoffes auf Kinderhöhe von einem Meter ist und hat dies mit Messungen an gleicher Stelle in Höhe von zwei Metern verglichen.

Vor besonders sensiblen Standorten wie Kindertagesstätten wurden zum Teil erschreckend hohe Werte ermittelt: So ergaben Messungen auf einem Meter Höhe an einer Vorschule in der Berliner Torstraße eine Konzentration von 57,4 µg/m3, an einer Kindertagesstätte am Berliner Mehringdamm sogar von 60,9 µg/m3. In der Pragstraße in Stuttgart, unmittelbar am Tierpark, wurde ein Wert von 67,8 µg/m3 ermittelt.

An zahlreichen Messstellen konnte der geltende Grenzwert in zwei Metern Höhe zwar eingehalten werden, in einem Meter Höhe wurden jedoch Werte von 40 µg/m3 und mehr ermittelt. Unmittelbar vor einer Schule am Kieler Ostring Ecke Stoschstraße wurde ein Wert von 35,5 µg/m3 ermittelt; die Schulkinder waren jedoch in einem Meter Höhe Konzentrationen von 41,4 µg/m3 ausgesetzt. An einem Kindergarten an der Stammheimer Straße in Stuttgart wurden in zwei Metern Höhe 37,8 µg/m3 gemessen, auf Kinderhöhe aber 40,8 µg/m3. Auch auf der Hamburger Holstenstraße – einer Ausweichstrecke der Straßenabschnitte mit Diesel-Durchfahrtverbot – konnte der Grenzwert in zwei Metern Höhe zwar eingehalten werden, in einem Meter Höhe wurde der Grenzwert jedoch mit 48,5 µg/m3 deutlich überschritten.

Aktuelle Studien verschiedener Behörden und von der Industrie unabhängiger Institute zeigen, dass bedenkliche Gesundheitsschäden bereits ab einer Belastung von 20 µg NO2/m3 auftreten. Besonders für ältere Menschen, Schwangere und vor allem für Kinder ist diese Belastung gesundheitsgefährdend.

„In Ruhe atmen Erwachsene zwischen 15 und 20 Mal pro Minute. Kinder – je nachdem wie alt sie sind, je kleiner, desto höher ist die Atemfrequenz – atmen in Ruhe bis zu 40 Mal. Gleichzeitig sitzen Kinder natürlich deutlich seltener so still wie Erwachsene. Stattdessen sind sie aktiv und laufen viel, sodass Kinder auch im Alltag eine höhere Atemarbeit aufweisen. Eine Schadstoffbelastung in der Luft, zum Beispiel durch Stickstoffdioxid, wirkt dementsprechend bei Kindern intensiver als bei Erwachsenen“, erklärt Thomas Lob-Corzilius, Lungenfacharzt für Kinder und Jugendliche. „Gleichzeitig sind Kindernasen viel näher an einem Autoauspuff und damit an der Emissionsquelle. Der Verdacht liegt nahe, dass dort höhere Schadstoffbelastungen existieren. Generell können die Auswirkungen, die entstehen, wenn Kinder eine mit Stickstoffdioxid angereicherte Luft regelmäßig einatmen, auch dauerhaft sein. Eine aktuelle Meta-Analyse belegt: Das Asthmarisiko für Kinder steigt um 48 Prozent, schon bei Werten über 30 µg/m3, wobei der europäische Grenzwert bei 40 µg/m3 liegt.“ Lob-Corzilius fordert deshalb weitere Messungen auf ‚Kindernasen-Höhe‘.

Jürgen Resch: „Wir fordern nicht nur dringend die Einhaltung des seit 2010 verbindlich geltenden Grenzwertes von 40 µg/m3, sondern auch eine schnellstmögliche Absenkung auf 20 µg/m3. Selbst die Schweiz hat mit 30 µg/m3 bereits seit 1986 einen strengeren Luftqualitätswert als die EU.“

Zusammen mit dem NABU hat die DUH auch die NO2-Belastung an Häfen und Schiffsanlegern gemessen. An dem beliebten Hamburger Ausflugsziel St. Pauli-Landungsbrücken wurde unmittelbar am Schiffsanleger ein Stickstoffdioxid-Gehalt von 98,5 µg/m3 ermittelt. Weiter oben, auf der Promenade, lag der Stickstoffdioxid-Gehalt der Luft immer noch bei 54,5 µg/m3. Die Vielzahl der hier anlegenden Hafenfähren und Barkassen, aber auch vorbeifahrende Kreuzfahrtschiffe und Frachtschiffe emittieren unglaubliche Mengen an giftigem Stickstoffdioxid.

Dass die Messmethode nachvollziehbare Werte ermittelt, zeigt der Vergleich mit den Daten aus offiziellen Monitoring-Stationen aus dem gleichen Zeitraum. Die DUH hatte neben allen sechs offiziellen, verkehrsnahen Messcontainern in Berlin sowie an einem Messcontainer in Kiel Passivsammler installiert. Die Abweichungen zu den offiziellen, stundengenauen Werten liegen im Vergleichszeitraum im Schnitt bei lediglich 5,2 Prozent.

Die Ergebnisse dieser Citizen Science Untersuchungen, eine Übersicht über alle öffentlich zugänglichen amtlichen Messungen sowie Messungen des Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Rundfunkanstalten rbb, SWR und WDR sowie des Vereins Green City aus München können auf einer interaktiven Karte auf https://www.duh.de/abgasalarm eingesehen werden. Neben den 75 Städten, bei denen offizielle Messungen Grenzwertüberschreitungen belegen, zeigt diese Zusammenstellung Messwerte oberhalb der 40 µg/m3 in 40 weiteren Städten auf. Insgesamt ergibt das 115 Städte. Die Luftqualität dieser Städte wird nicht durch die zuständigen Behörden überwacht und konnte nur durch Messungen engagierter Anwohner und die wichtige Arbeit von Vereinen und Rundfunkanstalten aufgedeckt werden.

Hintergrund:

Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 27. Februar 2018 zur Rechtmäßigkeit von Diesel-Fahrverboten wurden in Hamburg nach Klage des BUND streckenbezogene Fahrverbote für Diesel umgesetzt, ebenso sind erste Diesel-Fahrverbote in Stuttgart in Planung. In den laufenden Gerichtsverfahren der DUH in derzeit insgesamt 28 Städten mit deutlichen Grenzwertüberschreitungen rechnet der Umwelt- und Verbraucherschutzverband mit weiteren gerichtlichen Entscheidungen, die zu Fahrverboten für Diesel schlechter als Abgasstufe Euro 5 noch in diesem Jahr getroffen werden. Zuletzt hatte die EU-Kommission im Laufe des Vertragsverletzungsverfahrens die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof wegen anhaltender Überschreitung de NO2-Jahresmittelwertes verklagt.

Von der Bundesregierung fordert die DUH die Ausdehnung des „Sofortprogramms für Saubere Luft“ auf alle Städte und Gemeinden mit gesundheitlich bedenklichen Werten, d.h. oberhalb von 20 µg/m3. Aus Sicht der DUH kann es nicht sein, dass die Bundesregierung nur den Städten und Gemeinden hilft, die eine amtliche verkehrsnahe Messstation haben. Um die notwendigen Diesel-Fahrverbote auf möglichst wenige Fahrzeuge zu beschränken, muss die Bundesregierung sicherstellen, dass schnell eine wirksame Hardware-Nachrüstung aller Diesel der Abgasnorm Euro 5+6 auf Kosten der jeweiligen Hersteller im Rahmen eines amtlichen Rückrufs erfolgt.

In ihrem jährlichen Bericht über die Luftqualität in Europa und die daraus resultierenden Gesundheitsschäden hatte die Europäische Umweltagentur EEA im Herbst 2017 die gesundheitlichen Folgen der NO2-Verschmutzung mit jährlich 12.860 vorzeitigen Todesfälle allein in Deutschland beziffert. Auch das Umweltbundesamt hat mit seiner am 8. März 2018 veröffentlichten Studie zu den Gesundheitsfolgen der NO2-Belastung unserer Atemluft davor gewarnt, dass schon bei Konzentrationen deutlich unterhalb des Grenzwertes jährlich über 800.000 Atemwegs-, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes sowie 6.000 vorzeitige Todesfälle zu verzeichnen sind. 

Links:

  • Interaktive Karte mit allen bislang bekannten Orten gesundheitsbelastender NO2-Werte in der Atemluft: https://www.duh.de/abgasalarm
  • Die folgenden Dokumente finden Sie am Ende dieser Seite:

    • Gesamtliste DUH-NO2-Sommermessungen
    • Gesamtliste Städte und Gemeinden mit NO2-Grenzwertüberschreitungen
    • Liste Messungen auf Kinderhöhe
    • Liste 115 Städte mit Grenzwertüberschreitung
    • Vergleichsmessungen an offiziellen Messstationen
    • Hintergrundpapier DUH-Messungen

Kontakt: 

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch@duh.de 

Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung
030 2400 86772, saar@duh.de

Dr. Thomas Lob-Corzilius, Kinder- und Jugendarzt i.R. Allergologie, Kinderpneumologie, Umweltmedizin
0541-41480, thlob@uminfo.de  

DUH-Pressestelle:

Andrea Kuper, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse@duh.de

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