Ist Reichtum schlecht für die Gesellschaft?

19. August 2016

Dass der Reichtum in Österreich höchst ungleich verteilt ist und nur ganz wenige die Chance haben, reich zu werden bzw. zu bleiben, wird von vielen mittlerweile als belegt angesehen. Dazu haben zahlreiche Studien beigetragen, die in den letzten Jahren auf Basis der Daten des Household Finance and Consumption Surveys (HFCS) erstellt wurden.

Trotz dieser Studien und der daran anschließenden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen hat sich an der deutlichen Schieflage in der Vermögensverteilung kaum etwas verändert, wie die jüngst veröffentlichten, neuen Ergebnisse des HFCS zeigen. Der wohl wichtigste Grund hierfür ist in den gegenwärtigen politischen und ökonomischen Machtverhältnissen zu suchen, die – wie unter anderem der renommierte Ökonom Joseph Stiglitz nicht müde wird zu betonen – eine Politik im Interesse der Vermögenden begünstigen.

Von Seiten politischer AkteurInnen wird jedoch häufig auch auf die Einstellungen in der Bevölkerung verwiesen. Diese würden einer progressiven Besteuerung von Erbschaften und Vermögen oft entgegenstehen, da individueller Reichtum (und dessen familiäre Weitergabe) in der Tendenz als gerecht, weil „selbst erwirtschaftet“, erachtet wird.

Reichtum wird ambivalent beurteilt

Im Zuge einer aktuellen Studie sind Hilde Weiss und ich diesem politischen Einwand wissenschaftlich nachgegangen. Anhand von ausgewählten Fragen des HFCS, die nur in Österreich erhoben wurden, gingen wir der Frage nach, welche Einstellungen zu den Entstehungsbedingungen und gesellschaftlichen Folgen von Reichtum in Österreich tatsächlich präsent sind.

Ein besonderes Augenmerk unsere Studie lag auf der Analyse von Unterschieden in den Einstellungen nach soziodemographischen und sozialstrukturellen Merkmalen der Befragten: Glauben jüngere Menschen eher daran, dass man über eigene Leistung reich werden kann als ältere? Sind Personen, die auf der sozialen Leiter weiter unten stehen, dem Reichtum gegenüber kritischer eingestellt als Personen, die weiter oben stehen?

Wie eine vorangegangene Studie bereits zeigte, sind die Einstellungen zu Reichtum und seinen gesellschaftlichen Folgen in Österreich jedoch höchst ambivalent. Zwar wird große Kritik an den gesellschaftlichen Folgen von „zu großem Reichtum“ geübt: Den Aussagen „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ bzw. „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ wird etwa überwiegend zugestimmt.

Die Entstehungsbedingungen von Reichtum werden aber interessanterweise mehrheitlich durch individuelle Fähigkeiten begründet (d.h. „meritokratisch“ legitimiert). Daneben werden im selben Maße auch strukturelle Privilegien in Form von Erben und Netzwerken, also „zugeschriebene“ (herrschafts- und klassenbezogene) Chancen als Erklärung herangezogen.

Ein bisschen Ungleichheit, aber bitte nicht zu viel!

Analytisch betrachtet ist dieser Befund höchst widersprüchlich: Knapp die Hälfte der Befragten argumentiert scheinbar inkonsistent. Das heißt, der Glaube an das Leistungsprinzip als Entstehungsbedingung von Reichtum erscheint ihnen kaum als Widerspruch zur sozialen Problematik „zu großen“ Reichtums in einer Gesellschaft.

„Zu großer Reichtum ist (un-)gerecht“ und „Reich wird man (nicht) durch Leistung“

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 153

In unserer Studie erklären wir diese Widersprüche und Ambivalenzen in den Einstellungen mit Verweis auf den aus der Sozialpsychologie stammenden Begriff des „split consciousness“. Ein solches gespaltenes Bewusstsein ist besonders typisch für konservative Sozialstaaten, zu denen u.a. auch Österreich zählt. In diesen spielt die Arbeitsmarktbeteiligung des/der Einzelnen (vor allem durch die Koppelung der Sozialleistungen an den Arbeitsmarktstatus) eine zentrale Rolle. Daher findet auch die individuelle Leistung eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung.

Gleichzeitig sind soziale Ungleichheitslagen jedoch mehr oder weniger stabil: Das heißt, soziale Mobilität ist schwer(er) möglich und der Sozialstaat agiert statussichernd. Dementsprechend wird die Bedeutung der Familie bzw. der sozialen Ausgangsbedingungen in der Bevölkerung neben der Leistung des/der Einzelnen als durchaus wichtig erachtet. Auch wird es in diesem Sozialstaatstyp als Aufgabe des Staates erachtet, große soziale Ungleichheiten auszugleichen.

Soziale Ungleichheit wird demnach zwar als Merkmal des Marktsystems akzeptiert, allerdings nur unter der Bedingung, dass die gesellschaftliche Integration nicht gefährdet wird bzw. jede/jeder vom Sozialsystem in adäquater Form profitieren kann.

Kaum Unterschiede in den Einstellungen nach Geschlecht und Alter

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang das Faktum, dass wir in unserer Studie zunächst kaum Unterschiede nach sozialen Merkmalen nachweisen konnten: Nur die jüngeren (und hier vor allem die formal geringer Gebildeten) vertreten das Leistungsprinzip etwas stärker als die Älteren, welche bei ihren Einstellungen wohl auf ihre Lebenserfahrungen zurückgreifen können. Auch die Kritik an den gesellschaftlichen Folgen großen Reichtums war nur etwas häufiger in unteren sozialen Lagen zu finden. Geschlechtsspezifische Unterschiede gab es nicht.

Aufgrund des Befundes stellte sich die Frage, ob das oben erwähnte widersprüchliche Einstellungsmuster daher als ein „statusübergreifender Konsens“ in der österreichischen Gesellschaft aufgefasst werden kann. Etwaige Unterschiede nach sozialem Status der Befragten bildeten das Zentrum nachfolgender empirischer Analysen. Diese griffen auf das Konzept der sozialen Klassenlagen zurück, das bereits Ausgangsbasis einer vorangegangen Studie zur Vermögensverteilung in Österreich war.

Klares Gesellschaftsbild oben, diffuse Einstellungsmuster unten

In den feinteiligen Analysen konnten wir zeigen, dass die Überzeugung, Reichtum durch Leistung erworben zu haben, in den mittleren Klassenlagen stärker hervortritt als in den unteren, besonders ausgeprägt ist sie aber in den obersten Klassenlagen. Demgegenüber ergibt sich in den unteren Klassenlagen kein klares Gesellschaftsbild, in dem – spiegelbildlich zur Leistungsdominanz der oberen Klassen – die Kritik an den gesellschaftlichen Folgen des Reichtums den Schwerpunkt bildet. In den unteren Klassenlagen zeichnet sich eher ein diffuses Bild hinsichtlich der Einstellungen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit ab.

Das heißt, dass die oberen Klassenlagen genauer um ihre („objektiven“) Interessenslagen Bescheid wissen als die unteren: Je weiter oben eine Person auf der sozialen Leiter steht, umso „ideologisch konsistenter“ wird auch ihr Gesellschaftsbild. Trotz der eindeutigen ideologischen Positionierung trat in den oberen Klassenlagen auch eine durch höhere Bildung hervorgerufene Ambivalenz zutage. So sind in den oberen Klassenlagen die formal höher Gebildeten teils „kritischer“ gegenüber dem Leistungsnarrativ eingestellt als die schlechter Gebildeten ihrer Klasse, aber auch als vergleichsweise gut gebildete in den mittleren und unteren Klassenlagen.

Ein erstaunliches Resultat ist, dass sich das Bildungsniveau in den unteren Klassenlagen kaum auf die Einstellungen auswirkt. Eine mögliche Interpretation legt den Fokus auf eine „instrumentelle“ Funktion von Bildung, die stärker auf den beruflichen Aufstieg oder Selbstbehauptung gerichtet ist, während in den materiell besser gesicherten Verhältnissen Bildung auch mit dem Wissen um mehr Gestaltungsraum des eigenen Lebens verknüpft ist.

Was tun?

Welche politischen Schlüsse können aus den empirischen Analysen nun gezogen werden? Vor allem gibt die „Entideologisierung“ in den unteren sozialen Klassen sowie die geringe Bedeutung des formalen Bildungsniveaus bei diesen zu denken. Mit gezielten Aufklärungskampagnen (ganz im Sinne der Volks- bzw. ArbeiterInnenbildung Anfang des 20. Jahrhunderts) sollte vermehrt versucht werden, ein umfassendes gesellschaftliches Wissen über die Bedingungen und Folgen sozialer und ökonomischer Entwicklungen zu etablieren.

Hierbei lässt sich an dem vorhandenen Ungerechtigkeitsempfinden, insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Folgen „zu großen Reichtums“ anschließen. Es gilt, die in den unteren sozialen Lagen erlebten Widersprüche (Leistungsnarrativ versus zunehmende Prekarität) zu erklären und den Blickpunkt auf kollektive Strategien zu richten.

Dieser Beitrag basiert auf Nummer 153 der Working Paper Reihe „Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft“ der AK Wien.