Selbsteinschätzung beim Vermögen: Denn sie wissen nicht, wie reich sie sind

12. September 2018

Wie gut können Personen ihre eigene Vermögensposition einschätzen? Bei dieser Frage geht es nicht nur um Faktenwissen, sondern die Antwort darauf hat Auswirkungen auf politische Diskussionen über Umverteilung von Vermögen und Vermögenssteuern. Daten zeigen: Personen am unteren Ende der Vermögensverteilung kennen die eigene Vermögensposition wesentlich besser als jene am oberen. Auch fünf Jahre nach der Veröffentlichung der ersten umfassenden Daten zu privaten Vermögen ist eine breite Diskussion und mehr Aufklärung über die Vermögensverteilung notwendig.

Wissen über Vermögensverteilung für faktenbasierte Debatte notwendig

Grundsätzlich sind bei der Vermögensverteilung Wissensdefizite verständlich, immerhin gibt es erst seit 2013 valide Daten. Davor war niemandem – ob ExpertIn oder Laie – im Detail bekannt, wie die Vermögen in Österreich verteilt sind.

Seit der Veröffentlichung der HFCS-Daten durch die OeNB ist bekannt, dass Vermögen extrem ungleich verteilt sind – viel ungleicher als Einkommen. Kurz gesagt: Die unteren 50 % haben kein nennenswertes Vermögen, die „obere Mitte“ (die nächsten 30 %) besitzt ein abbezahltes Eigenheim, und erst bei den nächsten 15 % „Vermögenden“ werden Wertpapiere, sowie vor allem bei den reichsten 5 % Zinshäuser und Unternehmensbesitz relevant. Im Gegensatz zu Einkommen, die mit einer starken Mitte „bauchig“ verteilt sind, sind Vermögen daher „schief“ und bei sehr wenigen am oberen Rand der Vermögensverteilung konzentriert.

Aber wissen das auch „die Menschen“ und können sie ihre eigene Position einschätzen? Oder glauben sie, dass sie selbst ohnehin in der Mitte der Vermögensverteilung liegen? Schätzen sie sich sowohl von unten als auch von oben in die „Mittelschicht“, zu der man sich in Österreich so gerne zugehörig fühlt?

Mehr Vermögen – weniger Wissen über Verteilung

Diese Frage kann mit dem HFCS untersucht werden. Am Ende der Befragung, nachdem die Auskunftsperson über das Haushalts-Gesamtvermögen Auskunft gegeben hat und sich somit sämtliche Vermögensbestandteile in Erinnerung gerufen hat, wird nämlich noch gefragt, an welcher Position (von 1 bis 10) der Vermögensverteilung sie ihren Haushalt einschätzt.

Dabei zeigt sich: Wenige können ihre eigene Position exakt richtig einschätzen. Das ist auch wenig verwunderlich, denn die gewählte Einheit von Dezilen ist klein. So ist es schwierig, richtig zu beantworten, ob man in der Vermögensreihung nun zwischen den unteren 30 bis 40 % liegt, oder doch eher zwischen 40 und 50 %. Dennoch ist eindeutig: Wer am oberen Ende steht, verschätzt sich deutlich häufiger und der Abstand zur tatsächlichen Position ist wesentlich höher als bei Haushalten am unteren Ende der Vermögensverteilung. Im obersten Dezil, den reichsten 10 % der Haushalte, hat sich bei der Erhebung kein einziger (!) Haushalt selbst richtig eingeschätzt. Damit geben auch Personen in Haushalten mit mehreren Millionen an, nicht zu den reichsten 10 % zu gehören. Vielmehr sehen die reichsten 10 % ihr Vermögen in der Mitte (im 5. Dezil) – sie verschätzen sich nämlich im Schnitt um 4,7 Dezile nach unten.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Sowohl unten als auch oben in der Verteilung von Vermögen schätzen sich Personen mittiger ein, als sie sind. Dieser „Drang zur Mitte“ ist aber oben und unten nicht gleich stark ausgeprägt. Die vermögensärmsten Haushalte können nämlich ihre eigene Lage am besten einschätzen. Unter jenen 10 % mit dem niedrigsten Vermögen ist ein Drittel in der Lage, die eigene Position in der Verteilung korrekt anzugeben. Im Schnitt verschätzen sie sich um 1,6 Dezile. Auch im zweiten und dritten Dezil geben immerhin noch ein Viertel bis ein Fünftel eine richtige Antwort. Ab dem siebten Dezil gibt es kaum noch korrekte Antworten, und die durchschnittliche Verschätzung ist oben deutlich höher als unten.

Die Selbsteinschätzungsfähigkeit wird auch mit höherer formaler Bildung nicht besser. Personen mit höchstens Pflichtschulabschluss schneiden nämlich am besten ab – immerhin knapp ein Viertel kennt seine tatsächliche Position in der Verteilung. Üblicherweise sind es aber Personen mit einer höheren formalen Bildung, die bei Wissenstests zur allgemeinen Finanzbildung besser abschneiden. Genau diese Gruppe liegt aber bei der Einschätzung der eigenen Vermögensposition besonders oft daneben, weniger als 10 % verorten sich richtig. Befragte mit Matura oder gleichwertigem Abschluss liegen in der Mitte, jeder sechste Haushalt schätzt sich korrekt ein. Je formal höher gebildet, umso stärker verschätzen sich also die Befragten.

Woran liegt das?

Es könnte sein, dass die Befragten zwar eigentlich wissen, dass sie sich in der Verteilung weiter oben befinden, aber eben gern woanders hingehören würden und deswegen unkorrekte Angaben machen. Das ist aber noch lange keine Erklärung dafür, dass dieser Drang oben stärker ausgeprägt ist als unten. Vielmehr wäre es durchaus plausibel, dass sich Menschen für Armut schämen.

Ein weiterer Erklärungsversuch könnte lauten, dass es einfacher ist zu wissen, dass man nichts hat. Aber auch das ist nicht plausibel, denn die untere Hälfte besitzt nicht einmal 5 % des Gesamtvermögens – damit sind die absoluten Unterschiede dort relativ gering, und das macht es eher schwieriger, durch zufälliges Raten das richtige Dezil zu „erwischen“. Es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass das Ergebnis zufällig ist. Bei der ersten HFCS-Erhebung 2010 hat die Frage nach der Selbsteinschätzung sehr ähnliche Ergebnisse gezeigt – am oberen Ende viel mehr falsche Antworten als am unteren.

Ein Teil der falschen Selbsteinschätzung könnte daran liegen, dass der oberen Hälfte nicht bewusst ist, wie wenig Vermögen die unteren 50 % der österreichischen Haushalte besitzen. So treffen wir in Präsentationen immer wieder auf Überraschung, dass man mit einem abbezahlten Haus im Wiener Umland oder in Vorarlberg bereits zur oberen Vermögenshälfte zählt. Ein Teil der Verschätzung kann also auf diesen Irrtum zurückzuführen sein.

Außerdem kann die Präsenz der „Reichen und Schönen“ im medialen Zeitalter die Wahrnehmung für die eigene Vermögensposition verzerren. Denn wenn man selbst etwa über ein abbezahltes Eigenheim und einen Wochenend-Zweitwohnsitz verfügt und sonst kein beträchtliches Vermögen hat, kommt einem Abstand zu den Superreichen aus den Medien vielleicht so groß vor, dass auch reiche Haushalte glauben zur Mitte zu zählen. Dagegen wird den Lebensrealitäten der unteren 50 % tendenziell weniger Raum in Medien eingeräumt.

Breite Aufklärung zu Vermögensverteilung notwendig

Auch fünf Jahre nach Veröffentlichung der Daten zur Vermögensverteilung kennen die meisten ihre eigene Position nicht. Dabei verschätzen sich jene besonders krass, die weiter oben in der Verteilung stehen und die über einen höheren formalen Bildungsabschluss verfügen. Das untere Drittel kennt die eigene Position dagegen noch am besten.

Damit die Einschätzungen zur Vermögensverteilung näher an die Realität herankommen, sollten vor allem jene als ernstzunehmende politische DiskutantInnen medial zu Wort kommen, die sich in der unteren Hälfte der Verteilung befinden und deren politische Anliegen in der medialen und politischen Diskussion unterrepräsentiert sind. In der Zwischenkriegszeit zeigte bereits Marie Jahoda vor, wie ArbeiterInnen selbst zu Wort kommen können. Aktuell gilt diesbezüglich das „Humans of New York“-Projekt als internationales Vorbild.

Eine realitätsnahe Einschätzung der Vermögensverteilung ist für alle wichtig. Denn nur wenn man die Fakten kennt, kann man sich eine fundierte Meinung bilden. Die gute Nachricht ist: Obwohl es noch Luft nach oben über das Wissen zur Vermögensverteilung gibt, trifft die Mehrheit der Menschen ihre politische Meinung durchaus faktenbasiert. So spricht sich eine stabile absolute Mehrheit in Österreich für Vermögenssteuern aus.

Übrigens: Wer selbst testen will, wie treffsicher die Einschätzung der eigenen Vermögensposition ist, kann hier den Test machen.