"Öffnen Sie die Sportstätten"

Schlafstörungen, Bewegungsmangel, Computer-Sucht: Lockdown-Folgen für Kinder
Donnerstag, 08.04.2021 | 12:20
Die  Schwimmbäder sind während des Lockdowns geschlossen,  damit fielen in München auch tausende von Schwimmkursen für kleine Kinder aus. (Symbolbild)
IMAGO / Westend61 Die Schwimmbäder sind während des Lockdowns geschlossen, damit fielen in München auch tausende von Schwimmkursen für kleine Kinder aus. (Symbolbild)
  • FOCUS-online-Redakteur (München)

Der Schlaf-Forscher und Psychologie-Professor Manuel Schabus hat die Folgen der Corona-Maßnahmen für Kinder und Jugendliche untersucht. Er mahnt zum Gegensteuern: Die zu erwartenden Lockdown-Folgeschäden seien für Kinder viel gravierender als Corona selbst.

Seit Beginn der Corona-Pandemie starben in Deutschland laut RKI-Statistik 13 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren an oder mit dem Virus (Stand: 30. März). Ein Vergleich zur Einordnung dieser Zahl: Im Jahr 2020 kamen 23 Kinder im Vor- und Grundschulalter bei Ertrinkungs-Unfällen ums Leben. Ironie der Geschichte: Der Lockdown, der auch Kinder vor Ansteckung schützen soll, führte unter anderem zur Schließung von Schwimmbädern. "Das Jahr 2020 war für die Schwimmausbildung ein verlorenes Jahr. Mehr als jeder zweite Grundschulabsolvent ist kein sicherer Schwimmer mehr“, sagte Achim Haag, Präsident der Wasserretter der DLRG im März bei der Vorstellung der Ertrinkungs-Statistik.

Sind Kinder häufiger von Corona betroffen als Erwachsene?

Nicht nur dieses Zahlenbeispiel zeigt, dass bei den Pandemie-Maßnahmen eine Kosten-Nutzen-Abwägung gerade bei Kindern und Jugendlichen von erheblicher Bedeutung ist. Einige Länder Europas und der Welt ließen Schulen und Kindergärten während der kompletten Pandemie-Zeit geöffnet oder begrenzten Schließungen zumindest auf sehr kurze Zeiträume. In vielen anderen Ländern dagegen ist der regelmäßige Schulbesuch seit einem Jahr Geschichte.

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Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte erklärten erst vor wenigen Tagen, dass Kinder zwar Teil des Infektionsgeschehens, aber nicht überproportional vom Virus betroffen seien. Die gestiegenen Inzidenzen bei Kindern, das zeige ein Blick auf die Positivenrate der Getesteten, sei zumindest bislang auf die stark gestiegene Testhäufigkeit zurückzuführen.

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Umfrage zu Lockdown-Auswirkungen für Kinder

Vor dem Hintergrund des seit Ende 2020 geltenden Lockdowns in Deutschland, der nach dem Willen vieler Politiker und Virologen auf unbestimmte Zeit verlängert und für mehrere Wochen zusätzlich mit Ausgangssperren verschärft werden soll , warnen Experten vor den Folgeschäden der Maßnahmen. Nach Umfragen in Deutschland und Österreich zu den allgemeinen  Auswirkungen von Corona und den Corona-Maßnahmen auf die Menschen hat der Psychologe Professor Manuel Schabus von der Uni Salzburg nun die Auswertung der Umfrage "Jetzt sprichst du" vorgestellt, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richtete. In drei Altersgruppen (6-10, 11-14 und 15-18) wurden 4000 Mädchen und Jungen in Österreich und bislang 1400 in Deutschland befragt. Neben dem Ausfüllen der Fragen hatten die Kinder auch Gelegenheit, in eigenen Worten ihre Erfahrungen mit Corona und dem Lockdown auszudrücken. So wurde unter anderem die allgemeine Stimmungslage abgefragt:

  • 73% der befragten Kinder und Jugendliche gaben an, dass es Ihnen nun schlechter gehe als vor Corona.
  • 59,2% fühlen sich öfter wütend und genervt als vor Corona, zudem 46,6% öfter einsam/allein und 43,8% öfter traurig.
  • 9,1% fühlen sich „gleich wie immer“ oder „sogar besser“ 1,9%).

Negative Auswirkungen überwiegen positive Aspekte

Schabus geht davon aus, dass die Pandemie und vor allem die in ihrer Folge verhängten Maßnahmen die psychische und körperliche Gesundheit sehr vieler Kinder negativ beeinträchtigt.  Viele Folgen seien auch gar nicht mehr abzuwenden, sondern nur noch durch eine schnelle und gezielte Intervention zu begrenzen. Auch wenn es einige Kinder und Jugendliche gebe, die relativ gut durch die Pandemie kämen und sich zum Beispiel aktuell mehr bewegen als früher, sieht Schabus nach Auswertung der Daten ein deutliches Überwiegen der negativen Folgen.

Besonders während des zweiten Lockdowns hat es den Ergebnissen zufolge eine Zunahme von Suizidgefährdungen, schwerem Alkohol- und Drogenmissbrauch gegeben. (Symbolbild)
Christoph Soeder/dpa Besonders während des zweiten Lockdowns hat es den Ergebnissen zufolge eine Zunahme von Suizidgefährdungen, schwerem Alkohol- und Drogenmissbrauch gegeben. (Symbolbild)

1. Bewegungsmangel und wenig Sonnenlicht

"Die Studie zeigt, dass sich 76% der Befragten weniger bewegen und 48% auch weniger Zeit im Freien und in natürlichem Sonnenlicht aufhalten", so der Psychologe im Gespräch mit FOCUS Online. "Es ist davon auszugehen, dass dies nicht zu einem erheblich größeren Teil an übergewichtigen Kindern und Jugendlichen führen wird, sondern in der Folge auch zu schlechterer Ernährung und diversen körperlichen Folgeerkrankungen", so Schabus.

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2. Verhaltensauffälligkeiten und Aggression

Schabus betont, dass Prognosen immer mit Unsicherheiten behaftet seien. Man müsse dennoch mit Blick auf die Daten der Befragungen erwarten, dass sich psychosomatische Auffälligkeiten wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und anderes künftig häufen werden. "Zudem sind Verhaltensauffälligkeiten häufiger als bisher zu erwarten, zum Beispiel aggressives Verhalten, Depressionen und Angststörungen", so Schabus weiter. Durch die teils monatelangen Schulausfälle sei künftig mit mehr Schulverweigerern zu rechnen: "Die Corona- Zeit ist erlebnisarm, sozialarm und von vielen neuen Zwängen bestimmt. Schule war lange Zeit 'verboten' oder nur im On-Off Modus möglich. Ich befürchte, dass Schulverweigerung ein neues sich häufendes Problem der kommenden Jahre wird", glaubt der Forscher.

3. Smartphone-Exzesse, Internet-Sucht, Schlafprobleme

Digitalkonzerne wie Amazon oder Netflix gehören zu den größten Profiteuren der Pandemie. Während die Digitalisierung auch positive Aspekte hat - etwa einen Modernisierungs-Push für Schule, Ausbildung oder Verwaltung - sieht Schabus in dieser Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen einige Schattenseiten. So hätten nahezu alle Befragten angegeben, dass sie Smartphones, Tablets oder PCs sehr viel öfter nutzten als vor der Pandemie. Schabus erwartet eine Steigerung von "Computerspiel-Sucht" und weniger emotionale Ausgeglichenheit. Als Schlaf-Forscher weist er auf einen signifikanten Zuwachs von Schlafproblemen hin: "Wir sehen in der Umfrage seit Corona eine Verdopplung  von 21% auf 40%. Das heißt, 4 von 10 Kindern und Jugendlichen klagen über Schlafprobleme, was in diesen Altersgruppen absolut unüblich ist."

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Einen Kausalzusammenhang mit dem exzessiven Konsum von Medien oder Spielen könne die Umfrage zwar nicht belegen. Schabus hält sie aber für naheliegend - zumal die Smartphone-Nutzung auch direkte körperliche Auswirkungen habe: "Der besonders erregende Blaulicht-Anteil der Tablets und Smartphones stört das Ein- und Durchschlafen."

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4. Kinder und Masken

Während etwa Schweden keine Maskenpflicht für Schüler kennt und in diesen Altersgruppen auch keine vermehrten Erkrankungen registriert wurden, hat Deutschland die Maskenpflicht schritt für Schritt nach unten ausgeweitet. Nun sind auch Grundschüler betroffen. Auch wenn es keine entsprechenden Langzeit-Studien mit Kindern gibt, halten Mediziner Masken - abgesehen bei Säuglingen und Kleinkindern - für nicht schädlich. Angebliche Todesfälle bei Schülern wegen Sauerstoffmangels unter der Maske erwiesen sich denn auch schnell als Fake News.

Doch fühlen sich Kinder und Jugendlichen durch den Mund- Nasenschutz gestört? In der Umfrage der Uni Salzburg waren die Antworten unterschiedlich. Geht es nach Kindern und jüngeren Jugendlichen, wären viele die Masken lieber heute als morgen los. "Keine Maske tragen zu müssen und die Gesichter der Menschen sehen zu können" war ein Wunsch, den 68% der 11- bis 14-Jährigen und sogar 76% der 6- bis 10-Jährigen äußerten. Bei den 15- bis 18-Jährigen dagegen stellt die Maske kein so großes Problem dar: Nur 43 Prozent gaben das als entscheidend an; viel wichtiger wäre ihnen, endlich wieder Freunde ohne Einschränkungen treffen zu können (72%).

Fazit: Psychologe rät zu präventiven Maßnahmen

Während die Masken-Frage eher eine Randnotiz ist, sieht Manuel Schabus in vielen Ergebnissen der Umfrage dringenden Handlungsbedarf, um die zu erwartenden Probleme zu begrenzen. "Kinder und Jugendliche sollten sich trotz allem viel draußen aufhalten, wandern, Sport treiben und Freunde treffen, wo immer das möglich ist. Ihr Risiko ist minimal", so der Forscher.

Schabus übt auch Kritik an der politischen und medialen Corona-Kommunikation, wie sie etwa von der deutschen Bundesregierung in einem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums empfohlen wurde .  "Meine Sorge ist, dass Kinder- und Jugendlichen bereits nachhaltig Schaden zugefügt wurde, den wir erst in Monaten und Jahren in vollem Ausmaß sehen werden. Kinder erleben den Druck, als 'Virenschleudern' bezeichnet zu werden oder gar als 'Gefährder'  für das Leben ihrer Großeltern und Eltern. Dieser Druck ist nicht zu unterschätzen; er 'arbeitet' in den Kindern und Jugendlichen, selbst wenn er rational noch gar nicht erfasst oder verbal formuliert und ausgedrückt werden kann", so der Psychologe.

"Öffnen Sie die Sportstätten für Kinder"

Er empfiehlt den Einsatz von Schulpsychologen und Sozialarbeit, "so dass erste Probleme bereits hier auffallen und aufgefangen werden können bzw. Hilfesuchenden früh die entsprechende Hilfe angeboten werden kann". Zudem empfiehlt Schabus die Öffnung von Sportstätten und anderen Freizeiteinrichtungen für Jugendliche.

Eltern rät der Psychologe, viel mit ihren Kindern zu sprechen und ihnen irrationale Ängste vor Corona zu nehmen. "Das Risiko, wegen Corona im Kankenhaus zu landen, liegt bei Kindern bei 1 zu 40.000. Das Risiko zu  versterben ist schon bei Menschen unter 65 Jahren nicht höher als das Risiko, auf dem Weg zur Arbeit tödlich mit dem Auto zu verunglücken." Bei Kindern sei es noch erheblich niedriger.

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