Indien streicht die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern

Indien geht einen neuen Weg. Statt der Evolutionsgeschichte Darwins wird künftig die hinduistische Schöpfungsgeschichte gelehrt. Ein Minister erklärt: „Niemand hat die Verwandlung eines Affen in einen Menschen erlebt.“ Auch Passagen von Mahatma Gandhi wurden aus den Lehrbüchern gestrichen.
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In Indien wird anstelle der Evolutionstheorie die hinduistische Schöpfungstheorie gelehrt.Foto: iStock
Von 20. April 2023

Ab 2023 wird Schülern in Indien nicht mehr gelehrt, dass der Mensch vom Affen abstammt. Die darwinistische Evolutionstheorie wird aus den Schulbüchern gestrichen. Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines Prozesses, der schon mehrere Jahre andauert.

Minister: Menschen stammen von „Rishis“ ab, den weisen Menschen

Die konservative und nationalistische Bharatiya Janata Party (Hindu Volkspartei) kam 2014 in Indien an die Macht. In jenem Jahr erklärte Smriti Irani, die Ministerin für die Entwicklung der Humanressourcen, dass die „Veden“, „Upanishaden“ und andere antike und heilige Hindutexte in den Klassenzimmern eingeführt werden sollten. Wie wichtig das Thema ist, zeigt die Tatsache, dass dies die allererste Äußerung der neu ins Amt gekommenen Ministerin war.

Ziel sei es, das indische Bildungssystem zu korrigieren und es „Bharat-zentriert“ zu machen. Bharat ist der Name für Indien auf Hindi. Diese Reformen führten zu einer Reihe von Änderungen in den Schulbüchern. Eine der gravierendsten seither ist die Streichung der Evolutionstheorie. Stattdessen werden die religiöse Tradition des Hinduismus und seine Schöpfungsgeschichte gelehrt.

„Darwins Theorie muss in den Lehrplänen von Schulen und Hochschulen geändert werden. Seit es den Menschen auf der Erde gibt, ist er immer ein Mensch gewesen“, sagte Satyapal Singh, Staatsminister für die Entwicklung der Humanressourcen bei der Einleitung des Reformprozesses im Jahr 2018. Singh betonte ferner, dass die Vorfahren nirgendwo erwähnt haben, dass sie die Verwandlung eines Affen in einen Menschen erlebt haben.

Er glaube, dass die Menschen in Indien nicht von Affen, sondern von hinduistischen „Rishis“ (Weisen) abstammten. „Aljazeera“ zufolge äußerte er zudem, dass die Evolutionstheorie von Charles Darwin „wissenschaftlich falsch“ sei.

Kritiker: In Indien gibt es nicht nur Hindus

Neben lauten Stimmen, die das wissenschaftliche Weltbild verteidigen, protestieren Kritiker auch im Namen der religiösen Vielfalt.

„Das Problem ist, dass sie Indien mit Hindus gleichsetzen. Was ist mit dem Indien, das die Heimat von Muslimen, Christen, Jains, Sikhs und anderen Religionen ist? Indien zeichnet sich durch seine große Vielfalt des Landes aus – auch durch seine religiöse Vielfalt“, sagte Sveta Joshi, eine ehemalige Professorin an der Universität Delhi, 2014 gegenüber „Aljazeera„.

Indien ist der Geburtsort von vier großen Religionen: Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus und Jainismus. Außerdem gibt es Muslime, Christen, Zoroastrier und Juden. Indiens heiliger Fluss, der Ganges, ist ein Treffpunkt für viele religiöse Gruppen. Foto: iStock

Was die Auswirkungen angeht, so müssen in Indien mehr als 24.000 Schulen mit mehreren zehn Millionen Schülern entsprechende staatliche Schulbücher – ohne Darwin – verwenden. Darüber hinaus gibt es mindestens 240 Schulen in 26 Ländern weltweit, in denen die Anordnungen der Schulbuchbehörde gelten.

Ohne Darwin geht es nicht?

Bisher lernten in Indien Schüler der Klassen 9 bis 11 Charles Darwins Evolutionstheorie. Nach dieser Theorie haben Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren. Obwohl diese Ansicht, die Mitte des 18. Jahrhunderts populär wurde, nie bewiesen werden konnte, wird sie von der wissenschaftlichen Weltanschauung, insbesondere vom Materialismus und Marxismus, stark befürwortet.

Viele Lehrkräfte in Indien können sich einen Unterricht ohne Darwin gar nicht vorstellen. Einer der Kritiker ist Krishna Kumar, ehemaliger Direktor des Rates für Schulbuchveröffentlichungen. Ihm zufolge nimmt die Streichung des Kapitels über die Evolution „den Schülern die Möglichkeit, die falschen Vorstellungen zu zerstreuen, die sie in den sozialen Medien gelernt haben und die meist von den Befürwortern des Kreationismus propagiert werden“.

Das Land hat eine sehr starke hinduistische religiöse Tradition. Kritiker werfen der Führung vor, dass sie versucht, ein vielfältiges Indien in ein Hindu-Land zu verwandeln. Das Bild zeigt die Statue von Gott Shiva im Char Dham-Tempelkomplex in Namchi. Foto: iStock

Hinter den sogenannten „kreationistischen Theorien“ stecken uralte Schöpfungsgeschichten, welche die Grundlage der Weltreligionen bilden. Kreationismus ist der Sammelbegriff für die Ansicht, dass die Vielfalt des Lebens das Ergebnis des Eingreifens eines intelligenten Wesens (meist Gott) ist. Dazu gehört die biblische Schöpfungsgeschichte ebenso wie viele andere Schöpfungsgeschichten aus islamischen, hinduistischen, hebräischen, indianischen und weiteren religiösen Richtungen.

Die zehn Avatare der Hindus

Darwins Evolutionstheorie wurde früher in Indiens Lehrbüchern in einem Kapitel mit dem Titel „Ursprung und Evolution“ behandelt. Dieses Jahr heißt das Kapitel nur noch „Ursprung“. Wie ein aktueller Artikel eines indischen Wissenschaftsstudenten analysierte, geht es darin hauptsächlich um die hinduistische Weltanschauung.

Was beinhaltet die hinduistische Ursprungstheorie? Das religiös-mythologische Konzept der Dashavatar-Theorie ist Tausende Jahre älter als Darwins Theorie. Der Dashavatar selbst ist eine Sammlung von mythologischen Geschichten. Man kann es sich als eine Reihe von märchenhaften Erzählungen mit religiösem, moralischem und spirituellem Charakter vorstellen.

Der Sanskrit-Begriff Dashavatar umfasst zehn Avatare, zehn verschiedene Inkarnationen von Vishnu. Man glaubt, dass Gott (als hinduistische Dreifaltigkeit von Brahma, Vishnu und Shiva Vishnu) in Zeiten großer Krisen in der einen oder anderen Form auf die Erde herabsteigt, um das kosmische Gleichgewicht wiederherzustellen. Vishnu soll bereits neun Avatare angenommen haben, und seine zehnte Inkarnation steht noch bevor.

In der hinduistischen Mythologie werden die kosmischen Funktionen der Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung durch eine Triade von Gottheiten verkörpert: Brahma, der Schöpfer, Vishnu, der Bewahrer und Mahesh (Shiva), der Zerstörer. Foto: iStock

Matasaya, der erste Avatar von Vishnu, erschien als Fisch, der die Welt vor einer verheerenden Überflutung rettete. In seinem zweiten Avatar erschien Vishnu als eine Schildkröte, Kurma. Das war ein Wesen, das sowohl auf dem Land als auch im Wasser überleben konnte. Sie half, das Land mit einem Lebenselixier zu versorgen.

Vishnu erschien in seinem dritten Avatar Varaha, nun in der Form eines Säugetiers, dem Wildschwein. Das Wildschwein rettete das Land vor dem Aussterben, indem es einen mächtigen Dämon besiegte.

In seiner vierten Inkarnation ist Vishnu schon ein menschenähnliches Wesen, Narasimha. Er war ein löwenköpfiger Mann, der den brutalen Dämonenkönig tötete, der die Erde terrorisierte. Danach erschien Vishnu fast in menschlicher Gestalt und stieg in der Gestalt eines Zwerges, Vamana, auf die Erde herab.

In seiner sechsten Inkarnation erschien Vishnu zum ersten Mal in vollständig menschlicher Gestalt. Er wurde als Parshuram geboren, sein erklärtes Ziel war es, die Tyrannei der sündigen und unmoralischen Könige zu beenden. Rama, die siebte Inkarnation, ist ein Beispiel für moralische Vortrefflichkeit.

Die nächste Inkarnation von Vishnu war Buddha. Er wird in den Hindu-Schriften als wandernder Asket und mitfühlender religiöser Lehrer beschrieben, der den Mittelweg zwischen Askese und Hedonismus lehrte. Krishna, die neunte Inkarnation, ist vielleicht die bekannteste aller hinduistischen Schöpfungsgeschichten. Er ist äußerst lebensfroh und barmherzig. Nach Ansicht der Hindus ist er die Quelle des weltlichen Wissens und der spirituellen Weisheit.

Auf die Erlösung warten

Derjenige, auf den die Hindus immer noch warten, ist Kalki, der zehnte Avatar. Er ist der Letzte, der noch nicht auf der Welt erschienen ist. Kalki wird als mächtiger Krieger dargestellt, der auf einem weißen Pferd reitet und ein feuriges Schwert schwingt, das wie ein Komet lodert.

Der Avatar steht dafür, dass die Menschheit ihre selbstzerstörerische, egoistische Lebensweise überwindet. Sein Name wird auch als „Zerstörer der Hässlichkeit“, „Zerstörer der Dunkelheit oder Unwissenheit“ übersetzt.

Ein Relief mit der Inkarnation „Kalki“ des Gottes Vishnu an der Wand eines Hindu-Tempels in Indien. Foto: iStock

Nach dieser hinduistischen Entwicklungstheorie handelt es sich um eine kontinuierliche Fortentwicklung entlang der Avatare. Obwohl sie auch mit dem Leben im Wasser begann, geht sie weit über die darwinistischen Ideen hinaus, schreibt „The Pioneer“ aus Indien.

Die Idee der Avatare steht im Einklang mit dem Konzept der Yugas (Zeitalter), der zyklischen Natur der Existenz. In jedem Zeitalter sind andere Avatare erschienen. Kalki wird am Ende des letzten Zeitalters, des Kali Yuga, erscheinen. Während dieser Periode (die derzeit im Gange ist) herrscht Dashavatar zufolge ein allgemeines Klima der Irreligion, der Zwietracht und des Verfalls der moralischen und ethischen Bedingungen. Es ist eine Zeit, in der die Hindus auf die Erlösung warten, also auf das vorhergesagte Kommen von Kalki.

Religiöse Kontroversen im Hintergrund

In einer Reihe von internationalen Berichten, die sich der Berichterstattung von „Aljazeera“ anschließen, wird darauf hingewiesen, dass nicht nur die Evolutionstheorie aus den indischen Schulbüchern entfernt wurde.

So wurden zum Beispiel mehrere Passagen über den geistigen Anführer Mahatma Gandhi gestrichen. Gandhi war ein starker Befürworter der Idee der hinduistisch-muslimischen Einheit.

Diese Ansicht liegt der nationalistisch gesinnten Hindu-Regierung fern. Sie haben einen Großteil der muslimischen historischen Tradition ausradiert, auch die Moghul-Herrscher werden beispielsweise nicht mehr unterrichtet.

Es gibt in der Tat eine tiefe religiöse Kluft zwischen der muslimischen Minderheit und der Hindu-Mehrheit. In den Medien ist die Kritik an dieser Entwicklung lauter als die an der Streichung der darwinistischen Theorie.

Spiritualität durchdringt in Indien nach wie vor das tägliche Leben. Viele religiöse Feste werden das ganze Jahr über zelebriert – und viele junge Einheimische feiern auch gerne mit. Foto: iStock



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