5 Minuten Lesezeit 12 August 2021
Menschen, die auf einer binär codierten Weltkarte laufen

Wie Geopolitik Unternehmen prägt – und wie sich Risiken mindern lassen

Von Famke Krumbmüller

EMEIA Leader, EY Geostrategic Business Group

Politische Analystin und Strategin. Leidenschaft für europäische und globale Politik, Wirtschaft, Innovation und Unternehmertum.

5 Minuten Lesezeit 12 August 2021

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Die Umfrage „Geostrategy in Practice“ zeigt, dass Unternehmen mehr tun können, um politische Risiken zu managen.

Überblick
  • Die Zahl geopolitischer Risiken ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht – und sie nimmt weiter zu.
  • Unternehmen sollten politische Risiken in ihrer Strategie berücksichtigen und so stärker den Umgang damit steuern.
  • Einheitliche Maßnahmen helfen, unterschiedliche Risiken zu beurteilen.

Die Klimakrise wird unternehmerisches Handeln weltweit für Jahrzehnte verändern. Die Corona-Pandemie hat dagegen innerhalb nur weniger Wochen das Arbeiten in Büros und Fabriken auf den Kopf gestellt. Beide Krisen haben als gemeinsame Folge, dass überall auf dem Planeten die Politik das Geschehen in den Unternehmen entscheidend beeinflusst – politische Akteure schaffen Märkte, regulieren sie und versuchen, ihren Standorten international einen Vorteil zu verschaffen. Der politische Umgang mit den beiden genannten Krisen ist aber nur beispielhaft dafür, wie für global tätige Firmen die geopolitischen Risiken wachsen. Der „Geostrategic Outlook“ von EY hat zehn besonders wichtige geopolitische Risiken für das laufende Jahr hervorgehoben. Zu Beginn der zweiten Jahreshälfte zeigt sich nun, wie sehr sie alle weiterhin Politik und Wirtschaft weltweit beeinflussen.

Daher steigt auch in vielen globalen und DACH-Unternehmen das Bewusstsein für globale Entwicklungen und dafür, dass das Verständnis und Management politischer Risiken Teil der eigenen Strategie sein sollte. Politische Risiken müssen in die Managementprozesse einfließen, das geschieht aber noch viel zu wenig. Die EY-Umfrage „Geostrategy in Practice“ zeigt, wie globale Unternehmen mit politischen Risiken umgehen, und skizziert Handlungsoptionen. Ein Fazit aus der Studie: Der Anteil von Managern, die glauben, ihr Unternehmen sei gut für politische Risiken gerüstet, sinkt. Während 2020 noch 74 Prozent der Befragten zuversichtlich waren, politische Risiken managen zu können, waren es in der Befragung 2021 nur noch 55 Prozent.

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Besonders geopolitische Risiken bereiten ihnen Sorgen: 74 Prozent sagten, ihretwegen „starke Sorgen“ zu haben, 24 Prozent sprachen von „moderaten Sorgen“. Bei regulatorischen oder gesellschaftlichen Risiken liegt der Anteile derer, die sich sehr besorgt äußerten, mit 27 Prozent bzw. 19 Prozent deutlich niedriger; dies deutet aber eventuell auf mangelndes Bewusstsein hin.

Zehn politische Risiken für globale Unternehmen …

Zehn politische Risiken sind im Jahr 2021 und darüber hinaus von besonderer Relevanz für globale Unternehmen:

  1. Geopolitik infolge der COVID-19-Pandemie
  2. gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den USA und China
  3. zunehmende strategische Autonomie Europas
  4. Verstaatlichungen auf dem Vormarsch
  5. wiederbelebte und strengere Klimapolitik
  6. Geopolitik neuer Technologien und Datensicherheit
  7. Neuausrichtung der US-Politik
  8. Veränderungen der Schuldenpolitik von Schwellenländern
  9. geopolitische Dynamiken in der indopazifischen Region
  10. weitere Wellen sozialer Unruhen

… und drei, die DACH-Unternehmen besonders betreffen

In dieser Aufzählung gibt es drei Themenkomplexe, die für Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) besondere Bedeutung haben: Klimapolitik, die zunehmende strategische Autonomie Europas und die Regulierung von Tech und Data.

Drei geopolitische Themenkomplexe haben für Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz besondere Bedeutung: strengere Klimapolitik, die zunehmende strategische Autonomie Europas und die Regulierung von Tech und Data.

Auf europäischer Ebene zeigt besonders der „Green Deal“ der EU, wie die Klimaschutzpolitik von nun an alle Entscheidungen beeinflusst. Die Klimaneutralität bis 2050 ist jetzt rechtlich verankert, und auch rund 30 Prozent des EU-Rettungspakets in Höhe von 750 Milliarden Euro sind an klimafreundliche Projekte gekoppelt. Das neue „Fit for 55“-Paket der EU schlägt zudem Schritte zum Erreichen von 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen 2030 im Vergleich zu 1990 vor. Dazu zählen CO2-Standards für Autos, Energiebesteuerung oder Zielwerte für erneuerbare Energien. Weitere Impulse werden vom Klimagipfel COP26 in Glasgow im November ausgehen.

Das alles geschieht in einer EU, die auf der weltweiten Bühne gerade ihre eigene Stellung neu definiert. Der wegen wechselseitiger Abhängigkeiten komplexe Konflikt zwischen China und den USA erhöht die Notwendigkeit einer unabhängigen europäischen Politik, um zu garantieren, dass die eigenen Interessen berücksichtigt werden. Digitale und grüne Schwerpunkte prägen die Handels- und Investitionspolitik. Die EU und Deutschland werden weiterhin eine Führungsrolle in Diskussionen über globale Normen und Standards einnehmen, beispielsweise wenn es um digitale Regulierung und Umweltpolitik geht.

Die Vorschriften der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) haben ebenfalls gezeigt, wie Europa weltweite Standards prägt. Denn weitere Länder wollen ähnliche Datenschutzvorschriften einführen. Die Besteuerung digitaler Unternehmen, der Schutz geistigen Eigentums und juristische Fragen des Kartellrechts dürften in der unmittelbaren Zukunft viele Unternehmen prägen.

Auch die EY-Umfrage „Geostrategy in Practice“ zeigt, dass politische Risiken auch in Zukunft alle Unternehmensfunktionen beeinflussen werden. 87 Prozent der Befragten äußerten sich dahin gehend. Operatives Geschäft und Lieferketten werden besonders von geografischem, regulatorischem und gesellschaftlichem Risiko betroffen sein.

Komplexe Herausforderungen und das Management politischer Risiken: fünf nötige Maßnahmen für Unternehmen

Ein weiteres Fazit der EY-Studie „Geostrategy in Practice“ ist, dass schon 2020 die Bedeutung politischer Risiken auf dem höchsten Stand seit vielen Jahren war und dass sie in den Augen vieler Befragter noch weiter ansteigen wird.

Für jedes Unternehmen ist die individuelle Bedeutung dieser politischen Risiken unterschiedlich. Es gibt aber fünf generell anwendbare Maßnahmen, um politische Risiken im unternehmerischen Handeln zu berücksichtigen und so für mehr Krisensicherheit zu sorgen:

  1. Quantitative Indikatoren zu politischen Risiken identifizieren und sammeln   
    Die qualitative Beurteilung politischer Risikofaktoren hat weiterhin einen sehr hohen Stellenwert. Daneben können Unternehmen aber stärker am Monitoring quantitativer Indikatoren arbeiten, um neue politische Risiken zu identifizieren und bereits bestehende zu beobachten.
  2. Fähigkeiten zum Bewerten von Unternehmensfolgen politischer Risiken aufbauen oder beauftragen
    Unternehmen sollten darin investieren zu verstehen, welchen Impact politische Risiken für Unternehmensfunktionen oder Geschäftsfelder haben können. Regelmäßig sollten solche Analysen bis zur Vorstands- und Aufsichtsratsebene vermittelt werden und in breitere Risiko- und Strategiebeurteilungen einfließen. 
  3. Politische Risikoanalysen in Enterprise Risk Management integrieren
    Politische Risiken sollten Bestandteil des Enterprise Risk Management werden, um ein umfassenderes Bild von externen Risiken zu erhalten. Zu den Aufgaben eines Teams für politisches Risikomanagement könnten Alternativstrategien zum Absichern von Finanzen und Prozessen genauso zählen wie die Identifikation möglicher strategischer Chancen.
  4. Vorstände und Aufsichtsräte anregen, politische Risiken in die strategische Planung einzubeziehen
    Unternehmen sollten sicherstellen, dass diese Schritte und die gewonnenen Erkenntnisse konsequent in strategische Unternehmensentscheidungen einfließen. Geopolitik sollte nicht nur die aktuelle Strategie beeinflussen, sondern beispielsweise auch über Fusionen und Übernahmen oder Markteintritte und -austritte informieren. Das gelingt besonders, wenn Vorstände und Aufsichtsräte aktiv und sichtbar solche Informationen nutzen.
  5. Aufbau einer crossfunktionalen geostrategischen Arbeitsgruppe
    Häufig gibt es Inselwissen zu geopolitischen Risiken an einzelnen Standorten oder zu einzelnen unternehmerischen Funktionen – bei der unternehmensweiten bzw. globalen Zusammenführung entstehen dann Probleme. Ein prominent besetztes und regelmäßig tagendes Komitee zum Thema schafft den nötigen Austausch und kann die Vernetzung in die Führungsebene sicherstellen.

In einem volatilen weltweiten Umfeld erhöhen diese Schritte schon in der Aufbauphase die Widerstandskraft. Sie bereiten Unternehmen zudem mit der Zeit auch auf die nächste Disruption vor. Die klare Kommunikation des individuellen Frameworks kann das Vertrauen ins strategische Risikomanagement steigern – und gleichzeitig helfen, gute finanzielle Ergebnisse zu erzielen.

Fazit

Geopolitische Risiken nehmen zu und Unternehmen sollten sie in ihren strategischen Managementprozessen berücksichtigen. Mit Beginn der zweiten Jahreshälfte zeigt sich, dass die zu Jahresbeginn im EY „Geostrategic Outlook“ erhobenen geopolitischen Risiken weiter gelten. Für Unternehmen im DACH-Raum sind besonders verschärfte Klimaregulierungen, die strategische Autonomie Europas und die Technik- und Datenregulierung wichtig. Ein geostrategisches Framework mit fünf Prozessschritten hilft, die Arbeit im Unternehmen besser auf politische Risiken auszurichten.

Über diesen Artikel

Von Famke Krumbmüller

EMEIA Leader, EY Geostrategic Business Group

Politische Analystin und Strategin. Leidenschaft für europäische und globale Politik, Wirtschaft, Innovation und Unternehmertum.