Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Menschenrechte

 

Anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember appelliert der Flüchtlingsrat mit Nachdruck: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht. Eine Gesundheitsversorgung zweiter Klasse für Geflüchtete darf es nicht geben. Es müssen Lehren aus der ersten Corona-Welle gezogen werden: Massenunterkünfte gefährden die Gesundheit von Menschen. Die einzige Lösung ist eine dezentrale Unterbringung.

Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für Asylunterkünfte müssen endlich umgesetzt werden. Das bedeutet unter anderem die frühe Erkennung und präventive getrennte Unterbringung von Risikopersonen, die Bildung kleiner Wohneinheiten, um Ansteckungen und längere Quarantänen für größere Gruppen zu verhindern, die aktive Einbeziehung von Bewohner_innen bei Quarantänen zur Vermeidung einer Re-Traumatisierung sowie eine umfassende mehrsprachige Information der Bewohner_innen

Der Flüchtlingsrat zeigt anhand dreier Beispiele aus Brandenburg, dass eine Gesundheitsgefährdung durch Massenunterbringung wissentlich in Kauf genommen wird:

Fahrlässige Körperverletzung in Nauen
Frau E. ist 74 Jahre alt. Sie leidet an einer schweren Herz-Kreislauferkrankung und ist damit eindeutig der Personengruppe mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion mit Covid-19 zuzuordnen. Deshalb stellte sie Anfang November einen Antrag auf geeignete Unterbringung außerhalb der Sammelunterkunft in Nauen. Sie lebt dort zwar in einem Einzelzimmer, teilt sich aber Bad und Küche mit sechs bis sieben weiteren Familien.

Im Juli diesen Jahres hatte eine Frau, die zur Risikogruppe zählt, bereits die Unterbringung außerhalb der Sammelunterkunft in einer Wohnung vor Gericht erstritten (VG Potsdam vom 03. Juli 2020). Der Auszugsantrag von Frau E. aber wurde mündlich abgelehnt. Das Sozialamt könne die Kosten nicht übernehmen. Der schriftliche Bescheid erreichte Frau E., als sie bereits im Potsdamer Krankenhaus lag – Diagnose: Corona positiv. Sie wird dort nun seit drei Wochen behandelt. „Sie muss künstlich beatmet werden. Seit Montag liegt sie auf der Intensivstation, mittlerweile mit inneren Blutungen. Wir dürfen sie nicht besuchen und machen uns große Sorgen“, berichtet die Ehefrau ihres Enkelsohns.

Quarantäne im Container in Eisenhüttenstadt
In der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt werden alle neuankommenden Geflüchteten vorsorglich unter Quarantäne gestellt, so auch Frau Rasha S. (Name geändert) aus Syrien. Selbst nach zwei negativen Tests wurde ihre Quarantäne nicht beendet. Eine Familie in der Containerunterkunft, zu der Frau S. keinen direkten Kontakt gehabt hatte, war positiv auf das Virus getestet worden. Bäder und Zimmer müssen sich die Geflüchteten mit anderen teilen. „Wenn sie uns in Quarantäne stecken, dann doch wenigstens so, dass wir die Abstandsregeln einhalten können. Wenn einer positiv ist, verlängert sich die Quarantäne für alle“, so Frau S.

Was Frau S. besonders belastet, sind die Zustände, die in den Containern herrschen. Davon berichtet sie in einer E-Mail an den Flüchtlingsrat. Umgeben von einem Bauzaun fühlt sie sich wie im Gefängnis. Die Mülleimer quellen über, die Duschen sind dreckig und zum Teil kaputt, das Essen spärlich und schlecht. Es fehlen Desinfektionsmittel; Toilettenpapier und Handseife werden nur ein Mal in der Woche verteilt. Frau S. schließt sich nachts in ihr Zimmer ein – wiederholt wurde versucht, von außen in ihr Zimmer einzudringen. Sie erzählt einer Freundin in Berlin, dass sie Angst habe. Sie fühlt sich allein gelassen von den Sozialarbeitenden und schlecht informiert. Nach einigen Tagen kann sie in eines der Häuser der Erstaufnahme umziehen. Nun aber ohne Zugang zum Außenbereich. Als sie bittet, draußen Luft schnappen zu dürfen, droht ihr eine Sozialarbeiterin, sie mit den positiv Getesteten einzuschließen.

Nach neun Tagen in Quarantäne erleidet Rasha S. eine Panikattacke. Sie wird ins örtliche Krankenhaus eingeliefert. Der Arzt empfiehlt eine schnellstmögliche Entlassung aus der Erstaufnahme und befürchtet eine Suizidgefährdung bei längerem Aufenthalt. Nach Rückkehr in die Erstaufnahme muss Frau S. für weitere drei Tage in Quarantäne bleiben. Auch danach darf sie nicht zurück zu ihrem Freund ziehen, der in einer Wohnung in Berlin lebt.

Rausschmiss aus der Unterkunft in Oberhavel
Während die Corona-Pandemie tobt, droht die Ausländerbehörde des Landkreises Oberhavel in einem Schreiben von Mitte November mit dem Rausschmiss aus der Sammelunterkunft. Berufstätige Geflüchtete mit Aufenthaltserlaubnis sollen die Unterkünfte innerhalb von drei Monaten, also bis Mitte Februar, verlassen. Der Landkreis weist darauf hin, dass er zur Unterbringung dieser Personengruppe nicht mehr verpflichtet ist. Das ist wahr. Leider ist aber auch wahr, dass die 47 betroffenen Personen zum Teil seit Jahren verzweifelt auf Wohnungssuche in Hennigsdorf, Berlin und teilweise ganz Brandenburg sind. Der Landkreis appelliert, sie sollten sich im Norden des Kreises eine Wohnung suchen. Er verkennt dabei jedoch, dass von dort Arbeitsstellen in Berlin kaum oder nur mit erheblichem finanziellen und zeitlichen Aufwand mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Die Betroffenen wollen die Sammelunterkünfte, in denen sie in Enge und ohne Privatsphäre leben, unbedingt verlassen, stoßen aber aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes und rassistischer Vorurteile immer wieder auf Ablehnung. Zudem fehlt es an Unterstützungsangeboten bei der Wohnungssuche. Sie nun vor die Tür zu setzen, ist zynisch.

Die drei Beispiele aus Brandenburg zeigen: Geflüchtete sind durch die Corona-Pandemie physisch und psychisch stark belastet, ihre Gesundheit in Sammelunterkünften besonders gefährdet. Soziale Ungleichheiten verschärfen sich. Die Humanität eines Staates, eines Bundeslandes und einer Gesellschaft muss sich daran messen lassen, inwiefern sie willens und fähig sind, besonders gefährdetes Leben zu schützen. Menschenrechte sind universal und nicht verhandelbar.

Pressekontakte:

Kirstin Neumann 0160 563 319 3
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11. Dezember 2020: