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Münchhausen-Check Putin und der legitime Präsident der Ukraine

Der einzig legitime Präsident der Ukraine "ist juristisch gesehen zweifelsohne Janukowitsch", sagt Russlands Staatschef Wladimir Putin. Die SPIEGEL-Dokumentation macht den Faktencheck: Hat Putin "juristisch gesehen" recht?
Von Hauke Janssen und Eckart Teichert
Präsident Putin: Janukowitsch ist "juristisch gesehen" noch legitimer Präsident der Ukraine

Präsident Putin: Janukowitsch ist "juristisch gesehen" noch legitimer Präsident der Ukraine

Foto: ALEXEY DRUZHININ/ AFP

Am 4. März setzte sich der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Moskauer Residenz vor die Kamera und verbreitete seine Sicht der Dinge: Wiktor Janukowitsch habe zwar keine Macht, das sei klar, aber dennoch sei er "juristisch gesehen" der legitime Präsident der Ukraine.

Nach dem ukrainischen Gesetz, so führte Putin aus, könne man den Präsidenten nur aus bestimmten Gründen vorzeitig ersetzen: etwa wenn dieser von sich aus zurückträte oder im Zuge eines förmliches Amtsenthebungsverfahrens. Dessen Modalitäten seien dabei an konstitutionell verankerte Normen gebunden, an die sich das Parlament zu halten habe. Und das sei hier, gibt Putin zu verstehen , eben nicht geschehen.

"Überheblichkeit" und eine gezielte Taktik der "Verwirrung" , hielten ihm Kommentare hierzulande im Gegenzug vor. Die "Bild"-Zeitung sprach sogar von einer "dreisten Lüge" Putins . Denn "Janukowitsch sei vom ukrainischen Parlament mit großer Mehrheit seines Amtes enthoben worden".

Wenden wir uns zur Prüfung den sich überstürzenden Kiewer Ereignissen zwischen dem 21. und 23. Februar zu: Am Freitag, 21. Februar, schloss der zuvor immer brutaler agierende Präsident Janukowitsch unter internationalem Druck endlich ein Abkommen mit der Opposition. Angesichts des drohenden Bürgerkriegs wollte man zum Übergang eine Regierung der nationalen Einheit bilden, hieß es.

Dabei stimmte Janukowitsch auch einer Teilentmachtung des Präsidenten durch die unmittelbare Wiedereinführung der Verfassung von 2004 und einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl bis spätestens Dezember zu.

Umstrittener Kompromiss

Die Außenminister Deutschlands, Polens und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier, Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius, vermittelten und bezeugten diesen Pakt mit ihrer Unterschrift . Russlands Vertreter, Wladimir Lukin, hingegen unterschrieb nicht.

Noch am Freitag segnete das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, mit den Stimmen von Regierung und Opposition die vereinbarte Rückkehr zur Verfassung aus den Tagen der Orangenen Revolution ab. Damit war auch die Möglichkeit eines förmlichen Amtsenthebungsverfahrens durch das Parlament eröffnet.

Als die Oppositionsführer Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjagnibok das Verhandlungsergebnis dem Maidan präsentierten, stieß der Kompromiss nicht nur auf Zustimmung. Vor allem empörte, dass man Janukowitsch noch eine Frist bis Dezember gewährt hatte. Militante Gruppen kündigten gar einen bewaffneten Angriff auf das Regierungsgebäude an.

Noch am späten Freitagabend floh Präsident Janukowitsch aus Kiew. Mit der Nachricht von seinem Verschwinden aber verschob sich die Mehrheit in der Rada erdrutschartig.

Janukowitsch sieht Machtwechsel als "Staatsstreich"

Die proeuropäische Opposition nutzte diese Situation, um noch am Samstag das Machtgefüge des Staats umzukrempeln.

Das Handeln der Werchowna Rada, meinte die "FAZ", habe sich wohl in diesen Augenblicken "im revolutionären Sinn über die bisherige 'Ordnung' erhoben". Eine rechtliche Ordnung, das darf man dabei nicht vergessen, die unter Janukowitsch ohnehin seit Jahren nicht mehr groß geachtet wurde.

Zunächst wählte die Rada einen Vertrauten von Julija Timoschenko, Alexander Turtschinow, zum Vorsitzenden des Parlaments. Weitere wichtige Personalentscheidungen betrafen die Sicherheitsapparate, an deren Spitze jeweils Oppositionspolitiker gesetzt wurden.

Wer allerdings hoffte, Janukowitsch würde angesichts der Entwicklung freiwillig seinen Rücktritt erklären, sah sich getäuscht. Von einem unbekannten Ort aus erklärte Janukowitsch am Samstag alle gegen ihn und seine Regierung gefassten Beschlüsse als "gesetzeswidrig". Der Machtwechsel, der gerade stattfände, sei ein "Staatsstreich" und gleiche der Machtergreifung der Nazis in Deutschland. Er werde nicht zurücktreten, er sei der gewählte Präsident.

Das ukrainische Parlament dagegen wählte mit 328 von insgesamt 450 Stimmen Janukowitsch ab.

"Rein juristisch" gesehen hat Putin recht

Bis zur Neuwahl am 25. Mai soll nun Turtschinow das Amt des Präsidenten kommissarisch ausfüllen. So besagt es die Rada-Resolution Nummer 764-VII vom 23. Februar, die übrigens eben jener Turtschinow - noch in seiner Funktion als Parlamentsvorsitzender - gleich selbst unterzeichnet hat.

Der sofort wirksame Machtübergang von Janukowitsch auf Turtschinow vollziehe sich, so die Resolution,"in Übereinstimmung mit Artikel 112 der Verfassung der Ukraine"  und weil Janukowitsch sich von der Ausübung seiner verfassungsgemäßen Macht "selbst zurückgezogen" habe.

Nach der gültigen ukrainischen Verfassung (Artikel 108) kann die Amtsperiode des Präsidenten aber nur aus vier Gründen vorzeitig enden: wegen Rücktritts, aus gesundheitlichen Gründen, im Zuge eines Amtsenthebungsverfahrens oder wenn der Amtsinhaber verstirbt.

Die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung nach Artikel 111 sind gegeben, wenn ein Fall von "Hochverrat" oder eines anderen Verbrechens vorliegt. Dann muss auf Antrag des Parlaments eine Untersuchungskommission gebildet und auch das Verfassungsgericht zur Prüfung eingeschaltet werden. Erst wenn solche Prüfverfahren die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung als gegeben erachten, kann die Rada mit einer Dreiviertelmehrheit den Präsidenten seines Amtes entheben.

Doch solch ein Amtsenthebungsverfahren nach Artikel 111 gab es am Samstag, 22. Februar, nicht. So beruft sich die Resolution der Rada vom 23. Februar auch nicht auf Artikel 111, sondern auf Artikel 112. Dieser aber besagt lediglich, dass im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Präsidentschaft nach Gründen der Artikel 108 bis 111 (Tod, Rücktritt, Krankheit, Amtsenthebung) die Amtsbefugnisse bis zur Wahl eines neuen Präsidenten auf den Vorsitzenden des Parlaments übergehen.

Der in der Resolution genannte Amtsenthebungsgrund, nämlich der, dass sich Janukowitsch von der Ausübung der Macht "selbst zurückgezogen" habe, aber ist in den hier einschlägigen Artikeln 108 bis 111 der Verfassung nicht enthalten .

Fazit: Betrachtet man den Präsidentschaftswechsel in der Ukraine "rein juristisch", hat Putin recht. Eine andere Frage ist, inwieweit diese Sicht in revolutionären Zeiten politisch maßgeblich ist - und es ist eine noch andere, ob Putin einen glaubwürdigen Anwalt des Rechtsstaats abgibt.

Note: dennoch ein "Gut"